Sonntag, 4. Dezember 2011

Shadowrun: Resident Hill, Teil V

 Aus dem Tagebuch der Runnerin Blacky, Schamanin, 22.03.2072

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00:14
Ratlos blicken wir uns einen zeitlosen Moment lang an. Nicht nur ich tue mich schwer, das Gehörte als Fakt zu verarbeiten, das Unheimliche beiseite zu lassen. Emotionale Ablenkung versperrt nicht nur den Blick für das Wesentliche, sondern ist in unserem Metier lebensgefährlich. Wie sehr ist mir doch eine ehrliche Konfrontation lieber, als dieses Geschleiche, Beobacht und Belauert werden.
Die Holzdielen knarren ebenso unbehaglich, wie wir uns fühlen, als reflektierten sie mehr als nur unsere Bewegungen. Was auch immer dieses Kind ist, Mutmaßungen über Spuk oder Wirklichkeit - was sich zugegebener Maßen nicht ausschließen muss, wie ich als Schamanin gedanklich meine Überlegungen mit einem Seitenhieb quittiere - bringen uns nicht weiter.

Wir besinnen uns auf unseren Job und beschließen, das Haus weiter zu erkunden, etwaige Hindernisse und Störfaktoren auszuschalten und dieses verdammte Testlabor zu finden. Fehlt nur noch eine Leiche im Keller und eine Horde wild gewordener Fledermäuse und wir hätten immerhin für die nächste Halloweenparty mehr als genug Erzählstoff, sinniere ich, während Claw, Ghost und ich die Treppe hinaufsteigen. Wir drei sind es gewohnt, zusammen zu arbeiten und so geben die vertrauten Bewegungsabläufe unseren angegriffenen Nerven Sicherheit. Gewohnte Gesten lassen die Routine die Oberhand gewinnen. Dass uns, die wir schon lange keine Grünschnäbel mehr sind, diese Erscheinung derart nervös macht… Einen Augenblick bin ich froh, dass in diesem merkwürdigen Haus weder Aufzeichnungsgeräte noch sonstige Technik zu funktionieren scheint und außer unseren Schilderungen keine Details irgendwelcher Art nach außen dringen werden. Wie peinlich, wenn sich rumspräche, dass unsere Nerven flattern wie aufgeschreckte Wachteln. 

Ich denke an den gewieften Reporter Eagle zurück, der mit unseren Aufzeichnungen des Auftrages, den er uns erteilt hatte, ein mediales Feuerwerk erschuf und damit seinen Chefredakteur zu Freudentränen gerührt hatte. Das per Matrix-Stream der Seattle Newsweek medial inszenierte Gemetzel, für das die Bezeichnung reißerisch noch viel zu harmlos war, spottete jeder Form von seriöser Runnerarbeit. Dank uns hatte der Kerl einen kometenhaften Durchbruch - zumindest zuerst. Zugegeben, unser Kampf gegen den Meisterdieb Schwarze Katze und seine dreißig Ninja war durchaus eindrucksvoll.
„Die Schatten sind voller Gefahren. Zwielichtige Charaktere, Waffen und Mord sind die Elemente dieser dunklen Welt. Einer unserer Reporter schleuste sich in diesen finsteren Untergrund ein, um ihnen nun exklusives Material aus nächster Nähe zu präsentieren…“ Bla bla bla. Obwohl ein befreundeter Hacker dieses Machwerk an seiner Verbreitung hindern und sogar ganz tilgen konnte, klangen Eagles Worten immer noch wie böser Spott in meiner Erinnerung nach. Bei Gelegenheit sollten wir mit dem wieselhaften Kerl unbedingt noch ein Wörtchen reden…

Die Treppenstufen begleiten unseren Aufstiegt mit protestierendem Krächzen. Sam sichert unten. Man weiß ja nie. Oben angekommen sehen wir zwei Türen, wie erwartet auch hier alles verfallen und moderig. Hinter der Linken befindet sich ein großes und großzügig geschnittenes Zimmer, dem die Dachschrägen mit den unverkleideten Holzbalken einen rauen aber wohnlichen Anschein geben - oder vielmehr gegeben hatten. Nun wirkt der Dachstuhl eher wie das abgenagte und verblichene Gerippe eines Urzeittieres. In der Mitte des Zimmers steht ein großes Doppelbett, die verstaubten Laken zerwühlt. Auf dem rechten der beiden Nachttischchen steht eine offene Flasche. Echter Rotwein, wie ich bei einer genaueren Musterung erkenne. Wer auch immer hier gelebt hat, er war ein Kenner und Genießer. 

Der hier überall gegenwärtige Verfall hat auch vor den Fenstern nicht halt gemacht, wie mich mein scharfes Gehört aus dem sanften Windsäuseln schließen lässt. Trotzdem riecht es hier muffig. Seltsam.
Wir wenden uns, den Raum zu verlassen und da, da ist sie wieder! Wir sehen das kleine, schwarzhaarige Mädchen in seinem schmutzigen Kleid draußen vor dem Fenster vorbei huschen. Ihm so weit wir können mit den Augen folgend, stürzen wir in das benachbarte Zimmer. 

Das heisere Flüstern „Mami ich hab Angst!“ lässt uns zwar erneut erschauern, doch lassen wir nichts mehr unser Vorgehen bremsen. Das den größten Teil dieses Geschosses einnehmende Zimmer, in das wir nun gelangen, war offensichtlich einst ein Kinderzimmer. Auch, wenn in dem ausgebrannten Skelett des Raums nur wenig Spuren davon zurückgeblieben sind, sprechen verkohlte Stofftierfetzen, Plastikspielzeugstumpen und die Form des Bettes für sich. Der Dachstuhl über uns weist große Brandstellen auf, das komplette Zimmer scheint wie in Schwärze getaucht. Unsere Schritte werden von einem Ascheteppich gedämpft und zu einem fast angenehmen Rascheln. Es stinkt fürchterlich, obwohl man meinen könnte, alle Gerüche müssten durch die kaputten Fenster bereits verweht sein. Rechts verläuft der Kaminschornstein mitten durch den Raum.
Claw, sichtlich ärgerlich, von der Erscheinung, oder was auch immer, an der Nase herum geführt zu werden, durchmisst energisch den Raum. Außer dem nur teilweise angesengten Kleiderschrank in der Ecke gibt es keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Grob öffnet er mit einem Ruck die Türen und reißt sie dabei fast komplett aus den verzogenen Angeln. Hatten wir gehofft - und gebangt - unsere unheimliche Verfolgerin nun endlich stellen zu können, können wir nur enttäuscht in die schemenhafte Leere des Schrankes blicken. Wäre ja auch zu schön gewesen. Entnervt wirft der Elf die Türen wieder zu.
„Tu mir nicht weh!“ hören wir, wir als Antwort, die Geisterstimme verzweifelt flehen. Die Blicke, die wir miteinander wechseln, machen klar, dass nicht nur mir ein Schauer über den Rücken rinnt. Trotzdem machen wir uns auf den Weg ins Erdgeschoß, sammeln Sam ein und beschließen, uns den Keller anzusehen. Geheime Labore waren schließlich meistens unter der Erde, Klischee hin oder her. Da der Keller nur über die außen gelegenen Notfalltür erreichbar scheint (jedenfalls haben wir bei unserer optischen uns astralen Durchsuchung des Hauses keine Treppe nach unten entdecken können), gehen wir über die Küche nach draußen auf die Terrasse, öffnen die Flügeltüren und steigen vorsichtig nach unten.

Kaum befinden wir uns alle auf der nach unten führenden Holztreppe, meldet sich die nun schon vertraute Stimme zu Wort, diesmal jedoch deutlich aggressiver, tiefer, ja, regelrecht dämonisch: „Ihr werdet alle hier sterben!“
Wir halten inne, mehr als einer von uns schluckt nervös. Einen Moment habe ich das Gefühl, mein Herz bliebe stehen. Doch wir wollen den Job endlich zu Ende bringen! Sam und Claw betreten den kleinen, quadratischen Kellerraum, der aus rohen, hier und da von Moos und Flechten bewachsenen Natursteinen gemauert ist. Ghost und ich halten uns unbehaglich zurück. Manch einer mag das belächeln, aber als magisch Aktiver hat man eine besondere Beziehung zu körperlosen Stimmen. Was mach einer als Spinnerei abtun mag, schätzen wir als reale Bedrohung ein.

Die Treppe ächzt unter dem lange ungewohnten Gewicht und Bewegung, abgestandene Luft weht uns entgegen. In der rechten hinteren Kellerecke steht eine angerostete Waschmaschine, davor schimmert eine Wasserlache. In einem der deckenhohen Wandregale entdecken wir einige volle Benzinkanister, in einem anderen Rotweinflaschen derselben Marke, wie wir sie im Schlafzimmer sahen. Gegenüber befindet sich eine Werkbank, auf der sich unordentlich hingeworfene Gartenwerkzeuge türmen. Die obenauf liegende Axt, Kettensäge und Sense scheinen mit besondere Hingabe gepflegt worden zu sein. Wozu die rostigschwarzen, schweren Ketten an der Wand gedient haben sollen, will ich mir lieber gar nicht vorstellen.

 „Ich werde dir den Kopf abreißen“, krächzt es uns von den kalten Wänden entgegen. Soweit möglich ignorieren wir die erneute Störung, da sich keine reale Gefahr abzeichnet. Trotz genauer Untersuchung, keine Spur von dem vermeintlichen Forschungskomplex. Die den Kellerraum bildenden Wände sind allesamt massiv, weder eine Tür noch sonstige Öffnungen sind zu sehen. Keine versteckten Mechanismen, Aufzeichnungen oder baulichen Ungereimtheiten geben uns einen Hinweis. 
Verdammt, was ist hier nur los?

9 Kommentare:

  1. sehr schön, sehr schön. In meinem Kopf war der Aufbau des Gebäudes zwar anders, aber das tut der Geschichte keinen Abbruch. Diesmal fehlte ein wenig Gänsehaut-Feeling, aber ich weiß, ja da kommt noch was ;-)

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  2. Sehr spannend und bildlich geschrieben. Hat ein wenig von den alten Schauergeschichten über Spukhäuser. ^^

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  3. Sehr schön geschrieben. Kann kaum erwarten, daß es weiter geht. Obwohl....ich weiß es ja. Aber ist doch was anderes, daß hier so zu lesen.

    Liebe Grüße.

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  4. Klasse wieder! :D

    Die Kettensäge... das Benzin... ^^ Erinnert mich an sehr alte Zeiten... ;-)

    Bin gespannt, wie es weitergeht! :-)

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  5. Evtl. sollte ich dazu erwähnen, dass ich mich reichlich von Filmen und PC-Spielen habe inspirieren lassen, als ich den Run schrieb. Darin verkaspert sind: The Ring, Evil Dead, F.E.A.R., Resident Evil, Silent Hill und eine Prise Cube.

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  6. @ Spankey
    Langsam musst du dir einen neuen Kommentar überlegen xD

    @ Held
    Im Optimalfall liest man ja den Teil davor nochmal, dann müsste die Stimmung noch mit rüberschwappen ^^

    @ Imperator
    Danke!

    @ Nalbis
    Ich hoffe, es macht auch weiterhin Spaß.

    @ Mr.Elch
    Ach, du kennst solches Equipment? Dann muss ich mir wohl Sorgen machen ^^

    @ Held
    Pssssst, was verrätst du denn, woher du deine Inspiration bekommst! Zum Glück ist meine literarische Verarbeitung des Ganzen völlig uninspiriert, von allem, was ich je gelesen oder gesehen habe, ähem ;)

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  7. Ne... ich hab mit Kettensägen im realen Leben nix zu tun... ^^

    Und nun stolper ich auf der Suche nach einer erklärenden Seite finde ich eine, auf der auch noch eine Lösung parat liegt... Verdammt! Ich muß das noch mal spielen... ^^

    http://www.tentakelvilla.de/specials/mmspecial/

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